Lebe unbegrenzt
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Allerdings haben viele Patienten in den übrigen Landesteilen der Türkei nicht so viel Glück. „Der Großteil der türkischen Bevölkerung lebt im Osten“, erzählt Lal. „Für die dort lebenden PKU-Patienten gibt es zu wenig finanzielle Unterstützung und eine nur unzureichende Gesundheitsversorgung.“
„Obwohl Babies mit PKU versorgt werden, erleben viele Patienten im Laufe ihres Lebens, dass sie aus der medizinischen Versorgung herausfallen und von ihren Ärzten nicht mehr betreut werden“, erklärt Lal.
“Es gibt ungefähr 10.000 PKU-Patienten in der Türkei und nur 50 Ärzte, die sich um sie kümmern. Das ist ein großes Problem – es gibt zu wenig Spezialisten und zu wenig Stoffwechselzentren.“ Lal behandelt ihre PKU mit einer sehr restriktiven Diät. Ihre Mutter Deniz hat ihr beigebracht, einen Ernährungsplan aufzustellen und sich streng daran zu halten.
“Meine erste Erinnerung an die PKU ist ein Urlaubserlebnis als ich vier oder fünf Jahre alt war. Wir haben zu Abend gegessen und für mich wurde Reis bestellt. Zu spät erfuhren wir, dass der Reis mit Fleischsoße serviert wird. Ich weiß noch, dass meine Mutter panisch wurde, weinte und Angst um mich hatte.
Bei jungen Menschen mit PKU kann der Verzehr von Proteinen zu irreversiblen Behinderungen führen, z. B. zu Gehirnschäden. Manchmal hält dieses Wissen die Betroffenen dennoch nicht davon ab, ihre Diät zu vernachlässigen. Wer jung ist, wünscht sich nur ein ganz ‚normales‘ Leben zu führen.
“Unsere Patientenorganisation hat im Sommer Freizeiten für PKU-Betroffenen organisiert. Ich wollte dort nie hingehen, weil andere versuchten, mich zu beeinflussen und zu verführen. Die meisten waren ihrer Erkrankung gegenüber sehr negativ eingestellt. Sie hassten ihre Diät uns sich selbst. Sie kamen zu mir und fragten: Ich habe Schokolade, möchtest Du ein Stück haben? Viele haben sich null um ihre Diät geschert.“
“Einerseits verstehe ich, dass man etwas essen möchte, was man nicht darf. Andererseits verstehe ich nicht, dass Betroffene die psychischen Auswirkungen vergessen können, die nach dem Verzehr von Protein eintreten. Ich verstehe nicht, dass manche etwas essen, nur weil sie von ihren Freunden akzeptiert werden möchten – manche betrinken sich zum Beispiel auf einem Konzert.
Obwohl Lal von ihrer Familie, ihren Freunden, Ärzten und dem Netzwerk für PKU-Patienten sehr viel Unterstützung erfährt, ist sie manchmal depressiv – insbesondere, wenn ihr Phe-Spiegel hoch ist.
“Dann habe ich wirklich Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. Ich fühle mich erschöpft, total unfähig und bin mitunter auch sehr wütend. Wenn der Phe-Wert hoch ist, bist Du gestresst. Ein hoher Phe-Blutspiegel verändert Dich, Deine Gefühle und Du kannst Dich nicht mehr über einen längeren Zeitraum konzentrieren.“
Vor einigen Jahren erfuhr Lal, dass eine Schwangerschaft für Frauen mit PKU nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist. Erstens, weil die tägliche Proteineinnahme streng überwacht werden muss. Und zweitens, weil sich Abweichungen vom Diätplan negativ auf die Entwicklung des heranwachsenden Kindes auswirken können.
Lal weiß, dass die PKU ihre Persönlichkeit geprägt hat. „Ich verdanke der PKU meine heutige Stärke. Allein schon deshalb, weil ich direkt nach meiner Geburt gelernt habe, mich Herausforderungen zu stellen. Ich habe gelernt, mich zu mögen, zu akzeptieren wie ich bin und auf mich aufzupassen.
Das zeigt sich besonders, wenn Lal ins Tanzstudio geht. Ihr Gesicht strahlt buchstäblich, wenn sie über Theater und Tanz spricht.
„Das Theater und die Bühne werden immer ein Teil meines Lebens sein. Es ist ein ganz besonderer Zauber, wenn man merkt, dass man das Publikum erreicht hat. Tanz hat für mich einen etwas anderen Stellenwert: Er hilft mir, meine Grenzen zu erweitern.“
Job code: EU/PKU/0907 | Date of prep: June 2019